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„Ich komme als Nikolaus“

Der Vorsitzende der PARTEI Brüssel berichtet von der CSU/CDU-Weihnachtsfeier

 

„Deutschsprachiger Nikolaus gesucht“,

liest der Vorsitzende des PARTEI-Auslandsverbands Brüssel, Jochen R., und möchte schon weiterscrollen, als das Ende des Facebook-Posts seine Aufmerksamkeit weckt: „Bei Interesse bitte Frau Farblint[1] anschreiben unter csu.bruessel@...“. Frau Farblint ist die Brüsseler CSU-Vorsitzende. Von einer Millionen Menschen in Brüssel sind es nur sieben, die dem Auslandsverband einer deutschen Partei vorsitzen. Da gebieten es Anstand und Solidarität, einander zu unterstützten. Jochen zögert also nicht und schreibt umgehend eine kurze Bewerbung. Robert Gernhardts Weihnachtsgeschichte, „Die Falle“, kommt ihm dabei höchstens ganz kurz in den Sinn.

 

Nach einigen freundlichen Mailwechseln ist klar, dass es um die Weihnachtsfeier von CDU und CSU geht. Ein Treffen zur Vorbesprechung wird anberaumt. Jochen erscheint dazu pünktlich im Haus der Konrad-Adenauer-Stiftung Brüssel und ist angemessen gekleidet: brauner Anzug, grünes Hemd, dunkle Krawatte, Manschettenknöpfe, Siegelring. Frau Farblint, eine geleckte Mittvierzigerin, freut sich sichtlich über den Bewerber: „Sie haben ja keine Vorstellung davon, wie schwierig es ist, in Brüssel einen deutschsprachigen Nikolaus zu finden!“ „Stimmt“, denkt sich Jochen und zeigt stolz das Nikolaus-Handbuch, das er sich zuvor beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend bestellt hat. „Vielerorts werden Martinszüge in Lichtergänge und Weihnachts- in Lichtermärkte umbenannt“, steht darin gleich mehrfach und Frau Farblint ist beeindruckt.

 

Zehn Minuten später, sind alle Fragen besprochen und Jochen wähnt sich seines Jobs schon fast sicher, als Frau Farblint, noch etwas auf dem Herzen liegt: „Ich hätte da noch eine Frage, die ein bisschen sensibel ist, aber nur, um auch ganz offen zu sein, wir haben, wir haben, hmmh“, beginnt sie zögerlich, „Wir haben Sie gegoogelt. He, hä“, lacht sie verlegen, „und festgestellt, dass Sie auch Mitglied der PARTEI sind.“ Jochen vermutet, dass Frau Farblint zu einem Lob der Solidarität zwischen Auslandsverbandsvorsitzenden ansetzt und bestätigt die Tatsache. Frau Farblint fährt fort: „und das ist überhaupt kein Problem, also das ist auch überhaupt keine politische Veranstaltung, wir wollten nur sichergehen, dass, wie soll ich sagen, dass das logischerweise nichts mit dem zu tun hat. Also, es ist ja so, dass Die PARTEI hat ihre eigene politische, ähm, macht ja öfter auch mal politische Aktionen oder irgendwelche PR-Stunts. Ich wollte nur sichergehen, dass nicht aus irgendwelchen Gründen Sie vielleicht die Möglichkeit nutzen. Ich wollte nur sicherstellen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Können Sie mir das sicherstellen, dass Sie als Nikolaus kommen und nicht als Mitglied der PARTEI?“

 

Jochen ist verwirrt: Hat die christsoziale Frau denn wirklich gar kein Solidaritätsverständnis? Empathie? Mitgefühl? Sieht sie nicht, was so offensichtlich ist? Dass sein Einspringen das Gute und Richtige ist, was jeder anständige Mensch getan hätte? Sei’s drum, letztlich geht es nicht um Frau Farblint. Es geht um die Kinder! Deren leuchtende Gesichter schon vor Augen antwortet der Vorsitzende: “Ich komme als Nikolaus.”

 

Letzte Details werden per Email geklärt. In großer Vorfreude bastelt Jochen während der folgenden Tage an Mitteln, Erinnerungen des Abends aufzuzeichnen, ohne das Nikolausbild der Kinder durch elektronische Geräte zu trüben. So schafft er den weltweit ersten Bischofsstab mit eingebauter Kamera und eine ebenso ausgestattete Bibel. Beide Gadgets werden jedoch allerdings, als die CSU zwei Tage vor dem Abend zustimmt, seinen Sohn Felix als Fotografen zuzulassen. CSU-Mitorganisator Dörpfner[2] schreibt: „Das ist tatsächlich eine sehr gute Idee.“ Recht hat er!

 

Endlich ist es so weit

Jochen hält Wort und kommt als Nikolaus. In vollem Ornat klopft er am Haus der Konrad-Adenauer-Stiftung. Am Fenster winken einige Kinder bereits erwartungsvoll. Die Türe wird geöffnet und Frau Farblint begrüßt den Bischof von Myra.

 

Etwa zwanzig Kinder und vierzig Erwachsene stimmen feierlich “Lasst uns froh und munter sein” an. Konrad Adenauer betrachtet die Szene nachdenklich aus dem Porträt Graham Sutherlands heraus, das früher Angela Merkels Büro zierte und seit wenigen Tagen den Saal überblickt. Nikolaus begrüßt die Anwesenden und setzt sich auf einen Holzsessel zum Fuße des Weihnachtsbaums. Die Kinder folgen ihm dicht.

“Was ist das?” fragt ein Kind und steckt den Finger in das Kameraloch der heiligen Schrift. Nikolaus zieht das Buch schnell zurück und antwortet: “Das ist eine Bibel.”
Kind: “Eine Fibel?”
N.: “Nein keine Fibel, sondern eine Bibel. Die kennst Du auch, oder?“
Kind: “Nein. Ähm, oder ist das dieses Buch, das sie verbrannt haben? Diese Menschen in Schweden haben das verbrannt.”
N.: “Ach so, ja, davon habe ich auch gehört.”
Kind: “Aber der Verbrenner kriegt doch keine Geschenke, oder?”
N.: “Von mir jedenfalls nicht.”
Ein sehr kleines Kind sagt: „Schnikola“ und zeigt auf den Weihnachtsbaum.
N.: “Ja, ein schöner Weihnachtsbaum! Ich habe Euch ein paar Geschichten mitgebracht. Wollt Ihr Euch dafür hinsetzen?”
Drittes Kind: “Ich habe noch eine Frage: Wie heißt Du?”
N.: „Nikolaus.“
Viertes Kind: „Warum hat der Stern auf dem Baum so eine Schleife?“
N. “Das weiß ich nicht. Bestimmt, damit es schön aussieht.”
etc.


Einige Meter entfernt droht ein anderes Kind, den fragilen Bischofsstab umzuwerfen. Der Fotograf bittet die Mutter, ihr Kind im Zaum zu halten.
 

Eine Zweijährige zeigt Nikolaus ihr Knie und hält es dafür etwa auf Höhe ihres Gesichtes. „Nokolas“, sagt sie und deutet auf einen denkbar kleinen Kratzer. Der Heilige begutachtet die Verletzung anerkennend: „Oh, ein Kratzer, na, das wird schon wieder heile.“

 

Endlich sitzen die Kinder und Nikolaus kann mit seiner ersten Geschichte beginnen:

Seenotrettung

Zusammenfassung:

Ein Schiff in Seenot wird von einer Lichtgestalt gerettet, die genauso plötzlich verschwindet, wie sie gekommen war. Das lädierte Schiff läuft den Hafen Myra an. Der Kapitän zündet zum Dank für die Rettung eine Kerze in der lokalen Kirche an und begegnet dort dem Bischof Nikolaus, den er als Retter wiedererkennt. Wunder!

 

Die Kinder und auch viele Eltern hören gespannt zu. Dann fragt Nikolaus: „Wie hat Euch die Geschichte gefallen?“
Das Publikum antwortet mit zaghaftem Kopfnicken und einsilbigen Zustimmungserklärungen. Ein Kind zeigt vehement auf.
N.: „Du hast eine Frage?“
Kind: „Wie hast Du das Schiff gerettet?“
N.: „Ich habe mit einer Axt die Taue durchtrennt, die den abgebrochenen Mast noch mit dem Schiff verbanden. Danach wurde der Mast weggetrieben und konnte keine Löcher mehr in den Bug schlagen.“
Dasselbe Kind will eine weitere Frage stellen.
N.: “Wir wollen mal noch hören, was die anderen Kinder zu sagen haben, ja?”
Ein anderes Kind fragt: „Wie bist Du denn so hell gewesen?“
N.: „Wenn man strahlt, dann strahlt man. Aber was haltet Ihr von dem, was der Nikolaus gemacht hat? War das gut, die Menschen auf dem Schiff zu retten?“
Die Kinder sind sich einig: “Jaaa!”

 

Mitgefühl und Solidarität scheinen wenigstens bei den Kindern positiv besetzt zu sein. Ob Frau Farblint hier noch folgen kann? Zeit für die erste Gegenprobe!

 

N.: „Schön! Aber wisst ihr was? Heute gibt es viel, viel mehr Schiffe auf dem Mittelmeer. Leider sind die oft in schlechtem Zustand. Manche haben sogar ein Loch. Und weil das heute so viele Boote sind, kann der Nikolaus nicht alle selbst retten.“
Die Kinder lauschen konzentriert.
N.: „Aber zum Glück hat der liebe Gott ja Menschen gemacht. Und Menschen können anderen Menschen helfen. Einige Menschen machen das auch und haben Rettungsschiffe gekauft, mit denen sie auf das Mittelmeer fahren und andere Menschen aus Seenot retten.“

 

Frau Frablint und Herr Dörpfner schauen einander überrascht an. Herr Dörpfners Handy klingelt und er entfernt sich.

 

N. “Wie findet Ihr es, wenn heute Menschen andere Menschen auf dem Meer retten?”
Kinder: „Gut.“
Das Kind mit den vielen Fragen: „Aber, was wenn das Rettungsschiff kaputtgeht?“
N.: “Guter Punkt! Dann muss man es reparieren und das kostet Geld. Aber stellt Euch mal vor, Kinder, es gibt auch Menschen, die sagen, man soll den Rettern kein Geld für ihre Rettungsschiffe geben. Wie findet ihr das?”
„Was?“ sagt ein Kind empört. „Echt?“ fragt ein anderes.

 

Frau Farblint dreht sich hilfesuchend zu ihren christsozialen Mitstreitenden um.

 

N.: “Ja, echt, und stellt Euch mal vor, manche Menschen sagen sogar, man solle die Menschen in Seenot einfach ertrinken lassen, weil sonst noch mehr Menschen auf die Idee kommen, in schlechten Schiffen auf das Mittelmeer zu fahren.”[3]
Kind: “Was echt?  Ich glaube die wissen gar nicht, was ‘gut’ bedeutet!

 

Beeindruckend! Das Kind hat offensichtlich alles verstanden. Frau Farblint und einem weiteren Mitorganisator hingegen entgleiten die Gesichtszüge.

 

N.: “Ja, das glaube ich auch! Ich sehe, Kinder, Ihr habt das schon sehr gut begriffen. Dann freue ich mich, jetzt die erste Gruppe Kinder zu mir bitten zu dürfen.” Nikolaus zeigt auf die Gruppe, ganz vorne, in der Hoffnung damit endlich die nervigen Fragensteller ruhigzustellen. Eine Handvoll Kinder kommen nacheinander zum Nikolaus. Das erste, ein dreijähriges Mädchen, hat eine Brezel im Mund und antwortet auf die Frage nach dem eigenen Namen: „Hmfnie“. Zum Glück hilft die Mutter und es gelingt Nikolaus den Namen auf dem Spickzettel zu finden, der die Angaben enthält, die die Eltern im Anmeldeformular zu ihren Kindern gemacht haben. „Ist mit ihrem Zwillingsbruder da, beide können sich schon gut alleine anziehen“ steht darin. Das Mädchen wird gelobt, bleibt aber ohne Reaktion. Stattdessen knabbert sie lethargisch weiter an ihrer Brezel. Nikolaus greift in seinen Sack, das Kind bekommt einen Schokonikolaus, vergisst umgehend die Brezel und zieht freudestrahlend ab.

 

Das nächste Mädchen, schon etwas älter, hat mehr zu bieten. Auf die Frage, was sie im Kindergarten am liebsten macht, antwortet sie durchtrieben: „Nikolauslieder singen.“ „Ja, die höre ich am liebsten“, erwidert Nikolaus geschmeichelt und rückt sofort die Schokolade raus.

 

Das dritte Kind ist der energische Fragensteller. Er gibt mit seinen Mathekenntnissen an (3+3=6), gewinnt dann aber doch wieder an Sympathie, als er auf die Frage, was er in der Schule am liebsten mag, „die Pausen“ nennt. Wird er vielleicht einmal, wenn er groß ist, die PARTEI-Forderung nach einer Faulenquote in der CDU vertreten? Bis dahin bekommt auch er einen Schokoladennikolaus. Die weiteren Kinder werden auf das Ende der folgenden Geschichte vertröstet:

 

Mitgiftwunder

“Ein verarmter Mann wollte seine drei Töchter in die offene Sünde der Welt stoßen“, also auf den Strich schicken, heißt es im Original. Nikolaus beginnt die Geschichte lieber anders (Zusammenfassung):

 

Ein verarmter Mann hatte kein Geld, um seine drei Töchter zu verheiraten. Der noch junge Nikolaus, der seine reichen Eltern beerbt hatte, wirft drei Geldbeutel in den Garten des Mannes, die Töchter können heiraten. Ganz Myra freut sich. Wunder!

 

Die Kinder, die noch keinen Schokonikolaus haben, hören mit ihren Eltern aufmerksam zu und befürworten, auf Nachfrage, das großzügige Handeln des Nikolaus‘. Dann kommt dieser auf den unbekannteren Teil der Geschichte und den Bürgermeister von Myra, Fredericus, zu sprechen: „Fredericus hatte von der Familie ebenfalls gehört, meinte aber, dass Menschen, die von ihren reichen Mamas und Papas viel Geld erben, davon nichts abgeben, sondern, anders als Nikolaus, das Erbe schön für sich behalten sollen.“ Neben Nikolaus schüttelt ein Vater mit dem Kopf. Nikolaus fährt fort: „Fredericus und seine Freunde meinen, die Armen sind selbst schuld, wenn sie arm sind und keine reichen Eltern haben.“ Herr Dörpfner, der sein Telefonat zwischenzeitlich beendet hatte, steht auf und geht zügig auf Frau Farblint und den mittlerweile noch heftiger mit dem Kopf schüttelnden Vater zu.

Nikolaus fragt die Kinder: „Was meint Ihr, ist man selbst schuld, wenn man arm ist und keine reichen Eltern hat?“ Die Kinder schütteln mit dem Kopf. Nikolaus fährt fort: „Fredericus und seine Freunde sagen auch, dass, wenn alle sparen müssen, man das Geld als erstes bei den Armen holen sollte.“ Die Kinder schauen ungläubig. Der kopfschüttelnde Vater verschwindet. Nikolaus weiter: „Der Bürgermeister Fredericus hatte einen Freund, der hieß Wielandus[4] und der hat sich sogar von dem Geld, das die Menschen abgeben mussten, ein Arbeitszimmer für 630.000 Silberstücke gekauft. Könnt Ihr Euch das vorstellen?“ Die Vorstellungskraft der Kinder reicht scheinbar nicht dafür aus. Der Kopfschüttler setzt sich wieder neben den Nikolaus und schaut ungläubig (sic!), während Nikolaus die Kinder motiviert, sich ihn selbst zum Vorbild zu nehmen: „Menschen, die Armen etwas wegnehmen möchten, bestellt Ihr einen schönen Gruß von mir und zeigt ihnen wie’s richtig ist!“. Als Nikolaus anschließend die nächste Gruppe Kinder zum Einzelgespräch bittet, kniet sich Frau Farblint vor ihm nieder und sagt säuselnd: „Lieber Herr Nikolaus, ich glaube die Kinder müssten bald los, deswegen würde ich vorschlagen, jetzt alle Kinder zu beschenken und auf weitere Geschichten zu verzichten.“

 

„Unverschämtheit!“ denkt sich Nikolaus und sagt bestimmend „Ich will aber noch zwei Geschichten erzählen.“ „Nee, ich glaube dafür haben wir keine Zeit mehr“, insistiert die Unionsfrau, nun nicht mehr ganz so freundlich. Nikolaus, ein Mann des Friedens, ignoriert sie wohlwollend und macht einfach mit dem nächsten Kind weiter. Frau Farblint schaut hilflos und leicht verzweifelt, zieht aber „alternativlos“ ab. Dann dreht Sie sich einmal im Kreis und konferiert anschließend zwei Minuten lang erregt gestikulierend mit ihren Mitorganisatoren.

 

Wieder sind vier Schokoladenfiguren schnell verteilt: „Machst Du denn auch mal Quatsch in der Schule? Ja? Prima. Da haste!“ Zeit für die Geschichte vom

 

Kornwunder

Während einer Hungersnot laufen Schiffe mit Getreide „für den Söd…, äh Kaiser” in Myra ein, wollen aber aus Angst vor kaiserlicher Bestrafung nichts abgeben. Nikolaus überzeugt sie dennoch, bekommt ein wenig, verteilt es an die Bevölkerung, die davon zwei Jahre leben kann. Als die Schiffe beim Kaiser ankommen fehlt nichts[5]. Wunder!

 

Dann erzählt Nikolaus die weniger bekannten parallelen Vorgänge aus der Nachbarstadt Cesura, wo die gleiche Not herrschte und der Bischof Tantlaus[6] Getreide von ebenfalls einlaufenden Schiffen kaufen konnte.

 

N.: „Anstatt es aber den hungrigen Menschen zu schenken oder zu einem normalen Preis zu verkaufen, hat Tantlaus sich gedacht: ‚Wenn die Menschen hungrig sind, bezahlen sie mir bestimmt gaaanz viel Geld und davon kann ich mir dann eine gaaanz teure Kutsche kaufen.‘ Wie findet Ihr das? Ist das eine gute Idee? Darf man von hungernden Menschen extra viel Geld für etwas zu Essen verlangen, nur um sich eine gaaanz teure Kutsche zu kaufen?“

 

Zwei Kinder – deren Aufmerksamkeit sich auf den Sack mit den Schokonikoläusen beschränkt nicken, die andere schütteln mit dem Kopf. Frau Farblint ist nicht mehr zu sehen. Ihre beiden Kollegen sitzen mit den eigenen Kleinkindern auf dem Arm daneben – einer kopfschüttelnd, der andere nervös lächelnd.

 

Nikolaus fährt fort: „Das ist natürlich keine gute Idee, aber stellt Euch mal vor, der Tantlaus hat das auch noch gemacht! Tantlaus konnte aber natürlich nicht direkt jedem einzelnen von den vielen hungrigen Menschen die Masken, ähm, das Getreide verkaufen. Das wäre ihm viel zu viel Arbeit gewesen. Deswegen hat er sich an seine Freundin, die Klosterfrau Hohlmeise, gewandt. Die war mit dem Bürgermeister bekannt und Tantlaus hat sie gebeten, ihm zu helfen, das Getreide zum zwanzigfachen Preis an den Bürgermeister zu verkaufen.“

 

Nikolaus bittet die Kinder um eine Bewertung. Nur ein kleiner Junge, der verspätet zur Feier kam, wirkt sichtlich betroffen und gibt an, besser handeln zu wollen als Bischof Tantlaus. Die übrigen Kinder bleiben stumm. Ihre Aufmerksamkeit ist zu diesem Zeitpunkt offenbar schon so stark überspannt, dass Geschichten von Wucher, Ungerechtigkeit und Amtsmissbrauch keinerlei Reaktion mehr triggern. Nikolaus handelt entsprechend: Die Lethargischsten bekommen schnell ein paar persönliche Worte samt passender Schokoladenfigur und die Übrigen – sie sind schon drei vier Jahr in der Grundschule – bekommen eine Erzählung über das einzige Thema, das bei „Generation Snapchat“ noch Aufmerksamkeit erreichen kann: Porn... ähm Krieg.

 

Aus der langen Geschichte vom

 

Stratelatenwunder

erzählt Nikolaus nur den ersten Teil. Zusammenfassung: Soldaten peinigen die Bevölkerung eines Nachbarlandes. Nikolaus hört davon, geht hin, redet mit den Generälen (a.k.a. Stratelaten) und überzeugt sie davon, ihre Soldaten zurückzupfeifen. Wunder!

 

Dann kommt wieder der Teil mit den Hintergründen: „Jetzt stellt Euch aber mal vor: Einige Monate vorher hatte der Kaiser schon von den Problemen in jenem Land gehört und hatte den Bischof von Cedura, Bischof Lintnaus[7], dorthin geschickt, um nach dem Rechten zu schauen. Der hat dort aber nur mit den Soldatenchefs Wein getrunken, hat sich viel Geld schenken lassen, Urlaub gemacht und sich gar nicht um die Bevölkerung und deren Leid gekümmert. Nach seinem Urlaub ist er wieder zurück zum Kaiser gereist und hat dem erzählt: ‚Da ist alles in Ordnung in jenem Land und es gibt gar kein Problem‘, obwohl die Menschen dort von den Soldaten weiterhin ganz ganz schlecht behandelt wurden. Wie findet Ihr das, was der Bischof Lintnaus gemacht hat?“

 

Die meisten Kinder schweigen. Schlimmer noch: Wieder gibt es zwei, die die Suggestivfrage falsch beantworten. „Herrgottsakra“ denkt Nikolaus und beginnt zu verzweifeln. Nur ein Mädchen hat verstanden, was der Nikolaus hören möchte, und schüttelt zögerlich mit dem Kopf. Zum Trost sagt es dem Nikolaus ein Gedicht auf: „Das ästhetische Wiesel“ von Christian Morgenstern. Kein Nikolausgedicht, aber immerhin war Morgenstern ja durchaus für seine komische Lyrik bekannt. Ist sie eine heimliche Verbündete? Sie bekommt ein paar besonders gute Worte und natürlich eine Nikolausfigur. Die letzten drei Kinder haben sowieso nur noch Schokolade im Sinn und sind schnell abgefertigt. Zeit für den heiligen Mann, Bischofsstab und Bibel zu packen und das Weite zu suchen. Zum Abschied singt die Union „Oh du Fröhliche“.